Heavy Metal, Polizei und endlich Ausland – Tripping Europe Without Money 8

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Seit einigen Tagen haben wir nur schlechtes oder gar kein Internet – sorry, dass es mit neuen Beiträgen derzeit länger dauert.

Von Heidelberg nach Tübingen

Über Heidelberg ist alles geschrieben – hier nur noch ein paar Straßenmusikvideos:

David Bowie – Space Oddity
John Frusciante – My Smile Is A Rifle
Tenascious D – Tribute

Unser nächster geplanter Stopp liegt eigentlich in der Schweiz; auf dem Weg nach Italien wollen wir dort Verwandte nahe Zürich besuchen. Als Manu einen Wegweiser nach Tübingen sieht, fährt sie spontan ab – „da müssen wir jetzt hin“. Unsere Freundin Sylvia Kirchherr, ebenfalls Musikerin, die oft und gern auf der Straße spielt, hatte ihr irgendwann einmal von der Stadt vorgeschwärmt. Also ab dafür!

Einen Umsonst-Stellplatz in Citynähe zu finden ist in Tübingen unmöglich. Zum Glück baut sich gerade die Kirmes fürs Wochenende auf, es steht ohnehin ein Haufen Camper und Wohnwagen auf der Festwiese herum, also stellen wir uns einfach dazu. Der Parkplatz ist nicht unbedingt ansehnlich, die Beschreibung „eine Müllhalde mit Schlaglöchern“ eines Googlenutzers ist nahe an der Wirklichkeit. Hermine sieht das nach einem verschlafenen Blick aus dem Fenster anders: „Sind wir schon in der Schweiz? … Ach, nein? Ich wusste gar nicht, dass Deutschland so schön ist!“ Damit beweist sie ein feines Gespür, denn Tübingen selbst ist es allemal. Hermine bevorzugt zwar den Schotterparkplatz, Manu, Renan und Maja wagen derweil ein erstes Straßenmusikabenteuer in der Altstadt, vor den Treppen auf dem Holzmarkt.

John Frusciante – So Would Have I

Nach einer gelungenen Runde vor tollem Publikum schauen wir uns die Stadt an – eine einzige Pracht. „Vielleicht die schönste Stadt in Deutschland, die ich bisher gesehen habe“, wagt Manu auszusprechen, und das heißt was.

Am nächsten Tag machen Renan und Hermine einen Ausflug, während sich Manu auf dem Stellplatz im Schmuckmachen versucht. Diesmal ist nicht nur City-Seeing, sondern auch Shoppen angesagt – ohne Geld, was hier explizit anschauen bedeutet und nicht Ladendiebstahl. ;) Am Mittag gibt’s ein kurzes Hallo mit Marty, Bassist bei Renans alter Band OLD H, der seit einigen Jahren in Tübingen lebt und gerade Zeit für eine kleine Führung hat. Ein zweites Straßenmusikset vor einem Kinderspielplatz endet erstmals auf unserer Reise verfrüht, ein Nachbar weist uns darauf hin, dass das Spielen hier verboten sei und um diese Uhrzeit erst recht. Hundert Meter weiter und eine Viertelstunde später sei es erlaubt, aber jetzt und hier, nein. Unser Publikum – Eltern, die dankbar für etwas Ablenkung von ihren lärmenden Kindern sind – signalisiert liebevoll, dass sich sonst niemand gestört fühlt, aber wir brechen dennoch ab und kehren zurück zum Camper.

Von Tübingen zum Wilden Michel

Dort empfängt uns Manu mit einer frohen Kunde: Einer der Campingplätze, bei dem sie angefragt hat, ob wir gegen Musik kostenfrei stehen und uns versorgen können, hat grünes Licht gegeben: Zum Wilden Michel heißt der Betrieb, eine Empfehlung unserer Freunde Natalie und Torsten. Konkret vereinbart ist nichts, außer erst einmal vorbeizuschauen und weiterzusehen – es steht ein Festival auf dem Campgelände an und mal gucken, ob und wie wir da reinpassen.

Also auf in den Hochschwarzwald nahe Furtwangen, wo wir am späten Nachmittag anlanden. Nach kurzer Suche finden wir Urs, den Obermichel, der uns willkommen heißt und eine Einweisung gibt. Das Festival – die Heavy Michel Days – steigt von Donnerstag bis Samstag, gespielt wird Metal und Punk, helfende Hände kann man gebrauchen und am Sonntag ist zweijähriges Michel-Jubiläum und der vierte Geburtstag des Sohnes von Urs und Ute, da dürfen wir auch gern dabei sein. Urs zeigt uns Schwimmteiche, Eventscheune, Waschräume, die Gesindestube und führt uns durchs riesige Anwesen. Schnell ist klar: Der Wilde Michel ist kein normaler Campingplatz. „Wir verstehen uns eher als Eventort, hier ist immer was los“, erzählt Urs. Konzerte, ausgefallene Hochzeitsfeiern, Partys und Festivals ziehen sich durch das Jahr, außerdem gibt es neben Stell- und Zeltplätzen noch Tiny Houses, ein Dachzeltdorf und mehr. Das Team besteht zu großen Teilen aus Menschen, die selbst in Michelhausen leben – eine kleine große Wahlfamilie.

Am nächsten Vormittag besprechen wir die Details mit Manu, der für die Personalplanung und allerlei anderes Festivalgeschehen zuständig ist. Die Manu und der Manu – das kann kompliziert werden, weshalb sich unsere Manu fortan als Neka vorstellt, ein Name, der sonst nur engeren Freunden vorbehalten ist. Der Manu hat gleich ein paar Aufgaben für uns; die Manu wird als Fahrerin fungieren, Renan wird Samstag ein Frühstücks- und Sonntag ein Jubiläumskonzert auf Hut spielen, und der Rest wird sich ergeben. Und Hermine darf sich mit ihrem Schmuck gern an den Michelmerchstand stellen.

Am Abend geht’s los, auf der kleinen Indoorbühne des großen Michelhauses eröffnen die Lumberjerkz und Astroking mit Punk und Spacemetal das Festival – aber bevor wir hier das gesamte Lineup durchkauen, können geneigte Leser*innen mit Instagramzutritt Näheres im Heavy-Michel-Story-Highligh nachspüren.

Am Freitag macht Manu die eine oder andere Fahrt und hilft später am Abend an der Wiesenbar aus, Renan hilft am Merchstand und später ebenfalls in der Bar. Die Musik ist nicht immer unser Ding, aber bei My Dying Faith stimmte auch nach der Show die Chemie so gut, dass wir sie gleich fürs kommende KPiP-Festival 2024 nach Rheinberg eingeladen haben.

Leider will das Wetter nicht so recht – es regnet auch am Freitag mehr als es nicht regnet, was in einem weiteren Rekordsommer grundsätzlich zu begrüßen ist, die Stimmung vor der großen Open-Air-Bühne aber etwas nass aussehen lässt. Das Publikum nimmt’s sportlich, mit Bier und Regenjacke; Punk und Metal geht auch bei Matsche gut, versichert uns eine Gruppe angereister Fans.

Für Hermine läuft es indes prima: Sie verkauft Schmuckstück um Schmuckstück auf Spendenbasis, ein Armbamd sogar für stolze 70 Euro.

Am Samstag beim Frühstück hat Renan seinen ersten Auftritt und haut müden und teilverkaterten Metalfans eine eigens zusammengestellte Playlist mit einem höher als gewöhnlichen Anteil Akustikpunk und -metal um die Ohren. Nicht ohne selbst müde und verkatert zu sein, die letzte Schicht im Getränkezelt endete spät in der Nacht und brachte einige Runden fürs Thekenteam mit sich. Dennoch: Alles klappt, das Set kommt an und der letzte Festivaltag nimmt seinen Lauf.

Für uns endet er mit einem feuchtfröhlichen Wringen: Erst will die Waschmaschine nicht abpumpen, dann der Trockner nicht trocknen. Das Ergebnis ist ein Haufen nasser Wäsche im eigenen Saft, den wir zu Dritt händisch auswringen und im Camper aufhängen, bevor endlich die wohlverdiente Nachtruhe beginnt. Wobei der Begriff Ruhe auf einem Metalfestival irreführt – wir sinken zu den krachenden Klängen der letzten Bands (Kategorie: nicht so unser Fall) in den Schlaf.

Am Sonntagmittag spielt Renan das Jubiläumskonzert, zwei Stunden wilde Musik für zwei Jahre Wilder Michel, inklusive Geburtstagsständchen für vier Jahre Sohn von Urs und Ute. Das Wetter ist wieder trocken und warm, die Stimmung locker und ausgelassen. Ein Gast, der eine mahe gelegene sehr exklusive Eventlocation betreibt, lässt 50 Euro in den Hut wandern, und bei „As long as you love me“ von den Backstreetboys wird sogar getanzt.

Backstreet Boys – As Long As You Love Me

Nach einem sehr schönen Konzert wird es Zeit Lebewohl zu sagen. Heute wollen wir es wirklich endlich in die Schweiz schaffen – endlich ins Ausland. Voller neuer und schöner Eindrücke und jeder Menge Heavy Metal im Gehirn verlassen wir den Wilden Michel winkend in Richtung Süden.

Schweiz – oder: der teuerste Schlüsselanhänger der Welt

Unser nächstes Ziel liegt in einem Dorf nahe Zürich, wo Renan Familie hat, die wir besuchen möchten. Außerdem lebt dort der junge Designer Taro Tega, der gerade mit seinem Modelabel Boba Staro an den Start geht. Der Weg dorthin verläuft problemlos; wir stehen für eine Nacht vor der Scheune des benachbarten Bauernhofs und verbringen einen schönen Abend und einen weiteren halben Tag mit den Tegas. Dann geht es weiter gen Italien.

Dieser Teil des Weges ist nicht von Glück gesegnet: Wir kämpfen über die gesamte Strecke mit Staus, und einige Kilometer vor dem Gotthard-Tunnel hält uns die Kantonspolizei an: Gewichtskontrolle. Dabei stellt sich heraus, dass wir mit unserem Camper 20 Kilogramm Übergewicht auf die Waage bringen, was uns sage und schreibe 100 Schweizer Franken kostet, also rund 103 Euro. Ein harter Schlag für unsere Reisekasse! Immerhin schenkt uns die Polizei einen hochwertigen Schlüsselanhänger, den wir beschließen auf Ebay zu versteigern, um die Kosten zu kompensieren. Machen wir dann später.

Erholen in Italien

Irgendwann passieren wir die Grenze zu Italien – die Vignette für die Schweiz (42 Euro) gilt hier nicht mehr, stattdessen gibt’s Autobahnmaut für jeden Kilometer Schnellstraße. Tanken müssen wir ebenfalls, und schnell sind wir erneut um die 100 Euro los. Zum Glück haben wir uns in Deutschland einen guten Puffer eingespielt. Unser nächstes Ziel ist Pisa, aber vorher wollen wir mindestens einen Stopp einlegen. Unsere Nase führt uns an einen Fluss nahe Oriano, der witzigerweiser ebenfalls Taro heißt – von Taro zu Taro! Nach der langen Fahrt durch die halbe Schweiz und halb Norditalien haben wir eine Badepause verdient. Wir finden einen Platz nahe des Flusses, wo es keinen juckt, und beschließen für eine Nacht zu bleiben – und zu schwimmen, denn es ist bullenheiß. Außerdem braucht Manu ne Pause vom Durchziehen, die 3,5 Tonnen von 6,70 m Länge durch die Gegend zu kutschieren ist nämlich nicht ohne, zumal der Weg zum Stellplatz über eine sehr schmale Brücke führt, die in Deutschland maximal für Fußgänger zugelassen wäre.

Tags darauf beschließen wir über Land weiterzufahren und auf Sicht nach annehmlichen Plätzen zu suchen. Die Strecke führt u.a. über den Nationalpark Toskanisch-Emilianischer Apennin durch die Provinz Emiglia-Romana und ist ein Träumchen. Anhand der vielen verlassenen Ruinen, ehemaligen Restaurants und Campingplätze lässt sich erahnen, dass hier vor dem Bau der Autobahn eine frühe Tourismusader pulsierte; die Fahrt hat etwas Entschleunigend-Nostalgisches – vor allem als Beifahrer, denn Manu muss erneut ordentlich schalten und kurbeln.

Im Bummelmodus erreichen wir die Grenze zur Toskana und steuern eine versteckte Bucht am Fluss Magra nahe Standano an – die Straße dorthin ist nicht einmal auf Google Maps verzeichnet, das ist meist ein gutes Zeichen. Früher stand hier eine Brücke, die längst durch eine neue ersetzt wurde. Wenige hundert Meter hinter dem alten Brückenkopf entdecken wir im breiten Kiesflussbett ein Schwimmparadies und verbringen am Abend um am Folgetag viel Zeit im und am Wasser. Auch Maja hat sichtlich Spaß daran mit dem Rudel zu planschen – sie will immer dabei sein, bei allem, und glücklicherweise ist das in aller Regel auch möglich.

Der nächste Reiseabschnitt führt uns nach Pisa und von dort tiefer (bzw. höher) in die verwunschene Welt der Apenninen. Du möchtest wissen, was dort passiert? Dann komm mit auf unseren Trip! Abonniere gern diesen Blog, folge unserer Instagram-Story und unserer Youtube-Playlist und sei Teil unserer Reise. Wer uns etwas in den Hut schmeißen möchte, aber aus Raumzeitkontinuumsgründen nicht kann – das geht auch digital: paypal.me/renancengiz. Danke und auf bald!

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English summary starts here

Videos and photos are found above! Actually we wanted to go straight down to Switzerland after having left Heidelberg (see last post and initial videos above), but got stuck at two places on our way:

One is the city of Tuebingen, which is amazingly beautiful, where we stayed for one night and busked a little in the city center (see video above). The second stop was a longer onee: Camp site „Zum Wilden Michel“ in the Black Forest invited us to volunteer at their punk and metal festival „Heavy Michel Days“, plus Renan got to play two concerts at the veranda – one for the festival community, and one for the second anniversary of the place itself that was celebrated a day after the festival had ended. Four more nights of not heading South, but so many nice impressions and people!

Having left the wild Michel hoard, we finally made it to Switzerland, to a small village near Zurich, where Renan’s cousin lives with her family. We’ve spent a night with these lovely people and could have stayed longer, but we feared to not get to the sea at all, slow as we are, so we said good bye the next day and moved on.

On our way to Italy, the Swiss police stopped us to check the weight of our van. Turns out it was 20 kg too heavy which resulted in a 100 CHF (~103 Euro) fine – a tough sum to withdrawel from our money sack! After all they gifted us a high quality, branded keybelt that we are gonna auction at Ebay to hopefully compensate some of the costs. We count on you! ;)

After a good ammount of traffic jams we hit Italy and looked out for some sweet wild swim spots. The first night we found one at river Taro, the next day one at river Magra. On the way we discovered the rich and sleepy beauty of the northern apennine mountains. After two relaxing days, it was time to hit a bigger city again to gain some money: Pisa, here we come! But this episode will be part of the next article.

More recent travel logs are found on Instagram, videos can be watched over at youtube. Make sure to subscribe wherever it’s best for you! We’re happy about followers, recommendations, invitations or even donations (paypal.me/renancengiz). Thank you!

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