Mattez trägt immer eine Sonnenbrille. Als ich ihn das erste Mal ohne gesehen habe, bin ich einfach an ihm vorbei gelaufen. Vor ein paar Jahren hat Mattez sich das Paint On Walls Festival ausgedacht, vermutlich auch mit Sonnenbrille, um etwas zum Straßenmal-Wettbewerb in Geldern beizutragen, gute Kunst und coole Leute in die Stadt zu holen und der modernen Street-Art eine angemessene Plattform zu geben. Und Mattez war es auch, der eine alte Bäckerei angemietet und damit den Grundstein für das gelegt hat, was ich heute Abend in Geldern erlebe – im Habitat 49.





Der Habitat ist Atelier, Studio, Bühne und Schaffensraum für derzeit neun feste Künstlerinnen und Künstler aus Geldern und vom Niederrhein aus den Bereichen Musik, Video, Foto, Graffiti, Malerei und Schriftstellerei. Ich bin heute zu Gast beim ersten Probelauf eines neuen Formats, einer Musiksession, die aufwendig gefilmt und demnächst im Netz veröffentlicht wird. (Mittlerweile online.)
„Im Habitat sind alle große Musikfans und viele auch aktive Musiker“, erklären Roy und Mattez. „Da kommt schon eine ganze Menge Output zusammen, den wir gerne der ganzen Welt zeigen möchten. Also haben wir uns ein Konzept überlegt und wollen nun eine ordentliche Liveshow auf die Beine stellen.“ Nach einem trockenen Versuch im September ist es jetzt ernst geworden. Die heutige Test-Session wird noch aufgezeichnet, beim nächsten Mal soll alles live gestreamed werden – wie ein richtiges Konzert eben.





Für ihr Engagement im Rahmen des Paint On Walls Festivals hat die Stadt Geldern dem Habitat-49-Kollektiv im Dezember 2022 den Heimatpreis verliehen. Die dritte Festivalrunde ist bereits in Planung – derzeit sondieren die Kreativlinge einen neuen Ort, der ein größeres Happening möglich macht.
Währenddessen brodelt es unaufhörlich im Habitat’schen Hexenkessel: Buch-, Alben- und Single-Releases, Live-Shows und Sessions stehen für 2023 auf dem Programm. Auch an unserem KPiP-Festival rund um den Spanischen Vallan im Rheinberger Stadtpark wird das Kollektiv beteiligt sein.
Wie ich so da sitze, mit dem Kopf nicke und den Beinen wackle, während die Mikros über die Bühne fliegen, überkommt mich ein Gefühl zurückhaltender Zufriedenheit. Die Subkultur, die Untergrund-Kunst, die freie Szene am Niederrhein wächst nicht nur stetig in die Höhe, sondern auch zusammen. Unser Kulturnetzwerk erstreckt sich über viele Städte, Generationen, Genres und Kunstformen – und es lässt sich nicht mehr aufhalten. Auch wenn man manchmal den Eindruck bekommt, dass pedantische Bürokraten, kafkaeske Korinthenkacker und visionslose Wuchtbremsen versuchen, den Weltverhinderungspreis gegen die Lebendigkeit für sich zu beanspruchen. Vielen Dank an dieser Stelle allen, die trotzdem auf ihre Art gießen, was blühen will.




Alle Fotos (c) Renan Cengiz mit freundlicher Genehmigung des Habitat 49.
Ein italienisches Sprichwort besagt: Des Menschen großer Feind ist seine eigene Meinung. Wie lautet Ihre?