Ich bin nicht lieb! Aloys Cremers, Kerouac und das Nichts am Niederrhein

Es beginnt mit einem Knall. „Es muss knallen, wenn Menschen aufeinander treffen, das setzt Energie frei, Eigenenergie, die beste Energie von allen“, sagt Aloys Cremers mit großen, leuchtenden Augen. Wir trinken Koffie in Aloys’ Dachgeschosswohnung in Rheinberg-Annaberg. Auf dem Tisch stapeln sich Entwürfe, Skizzen, Fragmente und seine Cahiers – „das ist, wo ich alles reinschreibe, -zeichne, zeitweise fast wie Tagebücher“.

Wir kennen uns schon ein paar Jahre, Aloys Cremers, der Künstler, Gestalter, Unternehmer, Störer und Visionär, und ich, Renan, Kulturtyp, auch irgendwie sowas wie ein Künstler und angeblich Publizist. „Ich weiß gar nicht, was genau ein Publizist macht“, sagt Aloys, „aber ich nehme an, etwas publik machen, und darum geht es mir“. Nicht nur der Tisch, an dem wir sitzen, jedes Zimmer quillt über vor lauter Lebenswerk. Und das ist nur ein Teil – eine ganze Reisetasche voll hat er im Dezember verloren, aber die sucht er nicht, er wartet lieber darauf, dass er sie findet. Aloys ist dabei, alles zu ordnen, seinem Lebenswerk Formen zu geben: „Ich weiß nicht, wie lange ich noch hab! Und da kommst du ins Spiel.“

Für viele in Rheinberg ist Aloys Cremers „dieser verrückte Künstler“. Kaum jemand hier weiß, dass er auf der ganzen Welt bekannt, von Connaisseurinnen und Kennern geschätzt und besonders am Niederrhein so wirkmächtig war und ist wie kaum ein lebender Kunstmensch. Oft wird er mit seinem verstorbenen Kollegen Beuys verglichen, dem berühmten Beuys, den er zwar nie getroffen hat, aber dafür seine Schirmherren, die van der Grintens. Klar ist: Aloys Cremers steht für sich, und dass er Beuys nie getroffen habe, sei vielleicht auch gut so: „Wir hatten viel gemein und waren für manche auch zu stark […] zwischen uns hätte es auch knallen können“, erzählt er.

Bei unseren ersten Treffen über die letzten Jahre hat Aloys viel aus seinem Leben geteilt: Von seiner Lust zu wirken, seinen umgesetzten Projekten, seiner Vergangenheit und seinen Berührungspunkten mit großen Namen von Hüther bis Hemmingway – und von seinem Frust, abgewirkt zu werden, von gescheiterten Projekten, erstickten Ideen und allem Unumgesetzten. „Aber das ist nicht so schlimm, das gehört auch dazu“.

Im Zentrum seines Schaffens steht Nichts, und das können viele nicht greifen. „Nach 20 Jahren international aktiv als ,Creativ Troubleshooter’, bekannt mit Wandel und Wirkung von Markt, Kultur und Wirtschaft und deren Zusammenhang“, erklärt Cremers in seinem Buch „ALLES oder NICHTS“, sei er Anfang der 1990er Jahre wieder am Niederrhein gelandet, und da fiel ihm etwas auf: „Hier am Niederrhein er-fahre ich intensiv die Landschaft, die Menschen und deren ungenutzte Ressourcen. Alle kollektiv überzeugt von ihrer Unfähigkeit: Geht hier nicht, kann hier nicht, darf hier nicht. Ergo: Nichts ist hier möglich! Ein gigantischer Markt! Meine Vision: Mit Nichts Menschen bewegen. Mein Art-Concept Nichts: Ein Kunststück für sich in einem Land, wo’s um’s Schaffen geht.“ [Hervorhebungen entspr. dem Originaltext]

ALLES oder NICHTS! (c) Aloys Cremers, ganzes Buch: www.aloys-cremers.de/aloys-cremers.de/alles_oder_nichts.html

„Wer ihn einordnen will muss sich lange und ausführlich mit ihm beschäftigen“, konstatierte die Bürgerzeitung Duisburg. Den Atem hat nicht jede:r. Manchen ist Cremers zu frei, zu rebellisch, zu ungestüm, anderen zu viel, zu voll (mit Nichts!), zu versponnen. Mir nicht. Und damit bin ich zum Glück in guter Gesellschaft:

„Ein Empathiker par excellence“ sei Cremers, so der Soziologe Prof. Dr. Peter Fuchs, der ihm die „deutliche Undeutlichkeit eines Mystikers“ attestierte. Die niederrheinische Presse- und Publizistikikone Dr. Wilhelm Cuypers bezeichnete Cremers als weitgereisten, weiterfahrenen Tausendsassa und Ideenproduzenten, während Willi Teloo, Ex-Marketingmanager der Volksbank sowie Kunst- und Kulturmotor Gelderns, ihn charakterisiert als einen der „explosivsten Menschen, den ich kenne, dabei von einer Ideenvielfalt, die den Zuhörer beinahe erschlägt. Bei der Beurteilung seiner Gedanken und Ideen ist man als Außenstehender hin- und hergerissen zwischen den Urteilen genial und verrückt.“

Für die Kulturjournalistin und Autorin Elke Siemund ist Aloys „ein seltener und wertvoller Schatz in der Welt der Kunst, weil er die künstlerische Kreativität hervorruft und anspricht, die in allen Menschen wohnt, das Wissen um gemeinsame archetypische Formen, ein Gefühl für Echtheit und Originalität“. Und der Kunstwissenschaftler, Künstler und Autor Prof. Dr. Hans Brög sagt über Cremers gar, er sei „unter einigen Aspekten betrachtet der außergewöhnlichste Künstler, den ich kenne. […] Diese Begabung, PR-Mann in eigener Sache für eine Sache zu sein, gelingt nur wenigen Künstlern […].

Ein Egomane aber, was man auf den ersten Blick glauben könnte, ist er nicht. Sein eigentliches Anliegen ist es, seine Fähigkeiten in den Dienst der Menschen zu stellen, die mit ihm zu tun haben. Er animiert zur kreativen Arbeit. […] Nicht zuletzt ist Aloys Cremers Lehrer. […] Seine Aufmerksamkeit gilt den individuellen Ansätzen, die er erkennt, fördert, entwickelt […]. Mit Kraft und Energie, in Selbstlosigkeit und mit Schlitzohrigkeit setzt Aloys Cremers durch, was er mit seiner Kompromisslosigkeit, wenn es ums Wesentliche geht, für notwendig hält. Egal auf welche Weise man Aloys Cremers unterstützt, man kann sicher sein, dass es einer guten Sache nutzt.“

Über 80-mal ist Aloys in seinem Leben umgezogen, immer on the road. „On the road am Niederrhein, von Kerouac bis Kevelaer“ – das ist auch der Arbeitstitel, unter den Cremers sein geschriebenes und gezeichnetes Lebenswerk stellt: Rund 400 handverfasste Künstlerbücher, deren Inhalte er nun sortiert, einordnet, ausstellen und publizieren möchte. Denn, wir erinnern uns: Keiner weiß, wie lange er noch hat.

Jack Kerouac, dessen Werk „On the road“ (dt.: Unterwegs) den Titel von Cremers Gesamtwerk inspirierte, ist übrigens einer der Berühmten, die Aloys während seiner Arbeit für das amerikanische Kunstmagazin The Paris Review kennenlernte – neben „zum Beispiel Nabokov, Hemmingway, Gage und John dos Passos“. Und es gibt noch so viel mehr Spannendes zu erzählen aus dem Leben dieses Mannes.

Als Publizist, was auch immer man da genau macht, trage ich, nachdem es nun geknallt hat zwischen Aloys und mir, meinen Teil dazu bei, das ganze schöne Nichts begreifbarer zu machen, das Aloys ins Wallen und Wirken gebracht hat. Wenn Ihnen gefallen hat, was Sie hier gelesen haben, und Sie weitere Einblicke dieser Art in das Werk Aloys Cremers’ nicht scheuen – etwa in das Wesen der Grenzspraak, das Konzept von KUHnst und andere Nichtigkeiten –, abonnieren Sie gern diesen Blog. (Falls Sie nicht wissen, wie das geht, schreiben Sie mir einfach eine Nachricht.) Und schauen Sie doch mal auf Aloys’ Website vorbei: www.aloys-cremers.de Die ist zwar nicht ganz aktuell, aber es gibt trotzdem eine Menge Nichts zu sehen.

Aloys Cremers vor einer bunt bemalten Leinwand in seinem Atelier in Rheinberg-Annaberg, Januar 2023 (Foto: Renan Cengiz)
Aloys Cremers in seinem Atelier am Annaberg, Januar 2023 (Foto: Renan Cengiz)
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Veröffentlicht in Porträt

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